Dieses Mal ist es kein Jubiläum, zum Glück auch keine traurige Nachricht, sondern ein kleiner Nebensatz im neuen “Stenolöwen”, dem Vereinsblatt der Leipziger Stenografen, der mich in die Tasten greifen lässt: “… auch wenn der Vorsitzende seine Laufbahn als aktiver Wettschreiber beendet hat.”
Meine ganz persönlichen Gedanken, die mir in diesem Zusammenhang zu Manfred Kehrer einfallen, könnt ihr hier lesen:
Nun steht es schwarz auf weiß geschrieben, dass du, lieber Manfred, nicht mehr mit uns - wenn auch immer in der Liste weit davor - um möglichst viele Silben und wenig Fehlerpunkte kämpfen willst. Sicher ist der im vorigen Jahr errungene Meistertitel ein guter Anlass dazu, aber fehlen wirst du uns allen natürlich. Dabei spreche ich hier nicht mal nur vom Leipziger Verein, dessen Mannschaftsleistungen vielleicht nun nicht mehr ganz für die vordersten Plätze ausreichend sein könnten, sondern wohl für alle, die dich über Jahrzehnte als Wettschreiber bewundert haben.
Ich will hier nicht deine vielen Titel aufzählen, die du in den Jahren errungen hast, sondern ein wenig davon erzählen, wie du auch meine stenografische Laufbahn, bewusst oder unbewusst, geprägt hast.
Das erste Mal, dass ich deinen Namen gelesen habe, war sicher in der Mitte der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, als ich meine ersten Schritte auf dem langen Weg zum mehr oder weniger erfolgreichen Wettschreiber ging. Ich kämpfte mit der 160-Silben-Grenze und las von unglaublichen 530 Silben/Minute, die du 1974 geschrieben hattest. Unter uns Nachwuchsschreibern kursierten die unglaublichsten Gerüchte von dem System, mit dem du diese Leistungen erreicht hast.
Nur am Rande sei erwähnt, dass ja auch zwei von unseren Vereinsmitgliedern, nämlich Helmut Gehmert und Dr. Dietrich Lepski, zum Kreis derer gehörten, die zu dieser Zeit regelmäßig 500 Silben/Minute schrieben. Damals war es aber noch die einzige Frau aus diesem Umfeld, Jutta Wichmann - vielen Dank für deine Geduld, liebe Jutta! -, die mir die ersten Tricks zeigte, mit denen ihr versuchtet, das Wort im Sturzflug der Zeit ans Räumliche zu binden. Da damit meine immer noch währende Neugier geweckt war, diese Möglichkeiten ständig weiter auszuloten, war es nur natürlich, dass ich irgendwann auch auf die Veröffentlichungen in der “Theorie und Praxis” stieß, in denen du, Manfred, Schritt für Schritt versucht hast, Einblick in das System zu geben, mit dem du es vermocht hast, die Grenzen der Einheitskurzschrift zu überwinden, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen.
Später sah ich dich bei ersten Wettschreiben nur aus weiter Ferne, womit nicht nur der Abstand in der Ergebnisliste gemeint ist. Ich wusste, dass du Conny Patzschke dein System in weiten Teilen näher gebracht hast. Aber wir haben wahrscheinlich damals noch kein Wort gewechselt. Beim legendären Interstenokongress in Dresden 1989 konntest du den ersten Weltmeistertitel in Stenografie erringen. Und ich war immerhin auch schon mit in der Mannschaft ;-)
Die nachfolgende Zeit brachte viele Umbrüche. Auf einmal gab es einen Stenografischen Dienst im Landtag, bei dem wir beide uns regelmäßig begegneten. Das Wettschreibleben ging mit einigen Veränderungen nun im wiedervereinigten Deutschland und in der ganzen Welt weiter, auch wenn einige deiner unmittelbaren Konkurrenten inzwischen aus unterschiedlichen Gründen dem Wettschreiben Adé gesagt hatten. Die Veröffentlichungen deiner Tricks und Kniffe, nun in der “Neuen stenografischen Praxis”, wurden regelmäßig fortgeführt und von dir in der Schrift “Durch starke Kürzungen zu stenografischen Höchstleistungen” gebündelt, die ich seither immer wieder mit wachsendem Gewinn lese. Natürlich kann ich mich nicht mit allem anfreunden, was du für dich für gut befunden hast. Aber du würdest wohl staunen, wenn du sehen würdest, wie viel ich über die Jahre doch von dir übernommen habe, auch wenn Juttas Kürzungen hier und da ihren Platz verteidigt haben. Manches hat mir aber auch als Anregung gedient, grafische Möglichkeiten anders zu nutzen, was dich wahrscheinlich am meisten freuen wird.
Wenn du jetzt den Wettschreibstift zur Seite gelegt hast, weiß ich doch, dass ich dich, den ich in den vielen Jahren als liebenswerten Kollegen schätzen gelernt habe, immer noch auf den Gängen des Landtages in Dresden befragen kann, wenn ich mal an einer Stelle eine Anregung brauche, um ein Wort für mich schreibflüssiger zu gestalten. Dass ich nie in deine Höhen aufsteigen werde, habe ich über die Jahre begriffen, weil in der Kürze zwar die Würze, aber nicht der alleinige Schlüssel zur stenografischen Meisterschaft liegt, vor allem wohl nicht, wenn man erst in jungen Jahren dazu gebracht wurde, die rechte Hand zum Schreiben zu verwenden.
Ich wünsche dir nach deiner aktiven Wettschreibzeit noch viele Jahre bei guter Gesundheit. Mir wünsche ich, dass wir uns noch oft treffen, ob als Kollegen im Plenarsaal, bei den jährlichen Trainingswochenenden oder bei Wettschreiben, bei denen du uns vielleicht nun als Werter oder in anderer Funktion weiterhilfst.