Man kann sich die Situation aus der heutigen Perspektive gar nicht mehr richtig vorstellen: Das beginnende 20. Jahrhundert war wohl die Zeit der höchsten Blüte der Stenografiebegeisterung im deutschsprachigen Gebiet. Immer mehr Menschen wollten wissen, wie die moderne, schnelle Schrift funktioniert. Sie wurde in Schulen zum Pflichtfach oder Voraussetzung für die Anstellung, und ständig wurden neue Vereine gegründet.
Aber es gab eben auch eine Vielzahl mehr oder weniger verbreiteter Stenografiesysteme, deren Verfechter teils verbissen darum kämpften, die Krone des besten Systems für sich zu beanspruchen. Das führte auch dazu, dass in Verwaltungen, Betrieben, Parlamenten teilweise mehrere Systeme angewendet wurden, deren Schreiber die jeweils anderen Stenogramme nicht lesen konnten. Dass dieser Zustand auf Dauer nicht tragbar sein würde, war auch den Anhängern der verschiedenen Stenografieschulen klar.
So gab es ab 1906 die ersten Bestrebungen, ein Einheitssystem zu schaffen. Im Laufe vieler Jahre wurde in Systemausschüssen verschiedenster Zusammensetzung um eine Lösung gerungen, wobei sich immer mehr ein Kompromiss abzeichnete, der die wesentlichen Inhalte der Systeme Gabelsberger und Stolze-Schrey vereinte. Letztlich ist es Heinrich Schulz, einem Staatssekretär im Reichsministerium, zu verdanken, dass die Ressortminister aller Länder dem abschließenden Entwurf zustimmten und damit am 20. September 1924 die Deutsche Einheitskurzschrift das Licht der Welt erblickte und seitdem - mit wenigen Anpassungen - die Stenografinnen und Stenografen in Deutschland auf gleiche Weise schreiben lässt.
Wer noch ein paar Einzelheiten mehr über den mühsamen Weg bis zur Einigung erfahren möchte, kann gern bei Wikipedia nachschlagen.
Ob 2124 noch ein Nachfolger eine Lobeshymne auf den Erfolg der Vorgänger verfassen wird, ist angesichts der zurückgehenden Nutzung der Stenografie nicht sicher. Hoffen wir, dass dann nicht nur noch künstliche Intelligenzen Stenografiesysteme beherrschen, Vorerst lassen wir die KI nur die passenden Bilder zum Jubiläum erstellen.